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Kinderzähne: Warum Eltern Geduld und Konsequenz brauchen

Dr. Evelyn Beyer ist ganzheitliche Zahnmedizinerin und als solche nicht nur interessiert an (Kinder-) Zähnen, sondern immer auch an ihren Besitzer:innen. Wir sprachen mit ihr über Nähe in der Zeit des Zahnens, über das Zähneputzen mit Kindern und den ersten Zahnarztbesuch.

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Was ist das Besondere an ganzheitlicher Zahnmedizin?

Dr. Evelyn Beyer: Ich betrachte den Menschen in seiner Ganzheit. Bei meiner Behandlung stelle ich Fragen wie: Geht das Kind schon in den Kindergarten? Hat es Geschwister? Diese Infos helfen mir dabei, die Situation richtig einzuschätzen. Hat mein kleiner Patient beispielsweise ältere Geschwister, enthält seine Ernährung in der Regel bereits mehr feste Nahrung und mehr Süßigkeiten. Auch im Hinblick auf das Stresslevel spielt das Familienleben eine Rolle. Wie viel Zeit haben die Eltern pro Kind für Zahnpflege und Prophylaxe zur Verfügung?

Woher stammt die Bezeichnung „Milchzahn“?

Dr. Evelyn Beyer: Sobald die zweiten Zähne wachsen, versteht man, woher der Name kommt: Die Milchzähne sind im Vergleich zu den bleibenden Zähnen weiß wie Milch. Die neuen Zähne wirken dagegen fast schon gelb. Doch keine Sorge: Sobald die leuchtenden Milchzähne als optische „Konkurrenz“ weg sind, strahlen die neuen fast ebenso weiß.

Wann bekommt ein Kind seine ersten Zähne?

Dr. Evelyn Beyer: Mit etwa 6 bis 8 Monaten. Das kann natürlich variieren. Im Alter von etwa drei Jahren sind dann die letzten Zähnchen durchgebrochen.

Welche Symptome treten beim Zahnen auf?

Dr. Evelyn Beyer: Das Kind ist in dieser Zeit sehr unruhig und anhänglich. In der Nacht wacht es häufig auf und ist insgesamt auch anfälliger für Infekte.

Was tut Kindern in dieser Zeit gut?

Dr. Evelyn Beyer: Nähe ist das A und O. Ein leichtes Massieren der Zahnleiste kann ebenfalls helfen. Ich empfehle häufig eine Behandlung mit Chamomilla. Viele Eltern haben das Mittel bereits daheim, weil es ihnen vom Kinderarzt empfohlen wurde. Das Kauen auf Gegenständen lindert den Schmerz. In der Apotheke erhält man Veilchenwurzeln oder spezielle Beißringe. Diese Ringe einfach für eine Weile in den Kühlschrank legen und dann dem Kind zum Herumkauen geben. Wichtig: Bitte keinesfalls tiefkühlen – das wäre viel zu kalt für die empfindlichen Schleimhäute!

Wie können Eltern erste Zähnchen reinigen?

Dr. Evelyn Beyer: Babys erste Zähne und Zähne im Durchbruch am besten mit einem feuchten Mulltuch abreiben. Ziel ist zu diesem Zeitpunkt, dass sich das Kind an elterliche „Eingriffe“ im Mundbereich gewöhnt. Das sollte einfühlsam und ganz nebenbei geschehen – etwa, wenn das Kind lächelt.

Wann fängt man mit dem Putzen an? Welche Zahnbürsten und -pasten eignen sich?

Dr. Evelyn Beyer: Sobald alle Zähne da sind – auch die Backenzähne – kann es mit einer geeigneten Kinderzahnbüste losgehen. Das mechanische Putzen ist dabei viel wichtiger als die Zahnpasta. Überhaupt empfehle ich Kinderzahnpasta höchstens einmal am Tag, um eine mögliche Überfluoridierung zu vermeiden.

Was gilt es bei der Ernährung zu beachten?

Dr. Evelyn Beyer: Süße Getränke sind in meinen Augen das Hauptproblem: Apfelschorle ist zum Beispiel viel weniger gesund als die meisten Eltern denken. Sie enthält ähnlich viel Zucker wie Cola! Zwischen den Mahlzeiten also bitte nur Wasser oder ungesüßte Tees zu trinken geben. Insgesamt ist weniger Zucker immer von Vorteil. Was viele ebenfalls nicht wissen: nach einem obsthaltigen Frühstück bitte nicht direkt die Zähne schrubben! Die im Obst enthaltene Fruchtsäure weicht nämlich den Zahnschmelz auf, den man sich anschließend richtiggehend wegputzt. Wer also Obstsalat frühstücken möchte, sollte sich lieber davor die Zähne putzen. Das gilt übrigens auch für Erwachsene.

Was halten Sie von modernen Fingerzahnbürsten und Zahnputzlernsets?

Dr. Evelyn Beyer: In meinen Augen sind die nicht unbedingt nötig. Viel wichtiger ist die grundsätzliche Haltung der Eltern gegenüber dem Zähneputzen. Mama und Papa brauchen Überzeugung, Geduld, liebevolle Konsequenz und die richtige Technik. Wie sollten Eltern beim Zähneputzen sitzen, wie ihr Kind auf den Schoß nehmen? Ich übe diese Dinge in meiner Praxis. Damit das Kind stillsitzt, können Eltern ihm ein Lied vorsingen oder sich eine wilde Geschichte ausdenken – etwa, dass man gemeinsam „böse Krümel“ im Mund jagen muss.

Wann raten Sie zum ersten Besuch beim Zahnarzt?

Dr. Evelyn Beyer: Sobald der erste Zahn durchgebrochen ist. Meist haben Eltern dann viele Fragen. Beim ersten Besuch sitzt das Kind bei mir noch nicht auf dem Behandlungsstuhl. Meist sehe ich mir die Zähne auf dem Spielteppich im Wartebereich an und unterhalte mich dabei mit den Eltern.

Was können Eltern tun, damit ihr Kind keine Angst vor dem Zahnarzt entwickelt?

Dr. Evelyn Beyer: Bitte auf keinen Fall Sätze sagen wie: „Wir gehen jetzt zum Zahnarzt, aber du brauchst keine Angst zu haben.“ Oder auch: „Das tut gar nicht weh.“ Da klingeln bei Kindern alle Alarmglocken! Ist das Kind erstmal bei mir, spreche ich ganz freundlich und ruhig mit ihm. Ich erkläre ihm, was ich tue, vermeide aber Begriffe wie „Bohrer“ oder „Spritze“. Stattdessen sage ich: „Wir lassen deinen Zahn jetzt einschlafen.“ Übrigens: Ab dem Schulalter werden viele Kinder mutiger. Manche wollen dann gerne die lange Spritze sehen. Die zeige ich aber natürlich erst nach der Behandlung. (Sie lacht.)

Ab wann können Kinder ihre Zähne allein putzen?

Dr. Evelyn Beyer: Sobald das Kind die Schreibschrift beherrscht. Dann ist seine Feinmotorik gut genug ausgebildet, dass es den Zahn mit all seinen Flächen putzen kann. Aber: Kinder müssen das Zähneputzen üben dürfen! Eltern sollten daher in der ersten Zeit stets kontrollieren und bei Bedarf nachputzen.

Wie vermeidet man Dramen beim Zähneputzen?

Dr. Evelyn Beyer: Quengeln lässt sich vermutlich nie ganz vermeiden. Schließlich ist der Mund die einzige Körperöffnung des Kindes, die es selbst kontrollieren kann. Deshalb lässt es sich nicht gern in den Mund greifen. Bei meinen Kindern etablierte ich ein positives Ritual: Ich legte sie in den Arm und sang ihnen beim Zähneputzen den Bi-Ba-Butzemann vor. Statt im Haus tanzte er bei uns im Mund herum. Gute Routinen und feste Gewohnheiten sind wichtig. Eltern sollten jeden Tag dranbleiben. Das Zähneputzen steht nicht zur Diskussion, Punkt. Wenn es gut geklappt hat, unbedingt loben und das Thema auf diese Weise positiv verstärken. Was mir ebenfalls wichtig ist: Bitte keinesfalls mit dem Zahnarzt drohen! So nach dem Motto: „Wenn du nicht putzen möchtest, bekommst du Löcher in den Zähnen und dann muss der Zahnarzt bohren.“ Auf diese Weise schürt man bloß Angst vor dem Zahnarzt, erhöht aber nicht die Putzbereitschaft des Kindes.

Was tun bei Zahnverlusten – etwa durch einen Sturz?

Dr. Evelyn Beyer: Erstmal gilt es, Ruhe zu bewahren! Dann bitte so schnell wie möglich mit dem Zahn oder Zahnstück den Zahnarzt aufsuchen. Dies gilt vor allem für bleibende Zähne. Eine Zahnrettungsbox ist für solche Fälle ideal. Der Zahn lässt sich darin fachgerecht aufbewahren und transportieren. Ich empfehle solche Boxen für alle Schulen und habe in meiner Praxis immer welche vorrätig. Ist keine Box vorhanden, den Zahn in Milch oder Speichel eingelegt transportieren, damit er nicht austrocknet. Oft lässt sich der ausgeschlagene Zahn auf diese Weise retten. Milchzähne setzt man jedoch in der Regel nicht wieder ein, um die Wurzel des darunterliegenden, bleibenden Zahnes nicht zu gefährden.

Ab welchem Alter sollten Eltern kieferorthopädische Behandlungen erwägen?

Dr. Evelyn Beyer: Bei Kieferfehlstellung wie vorgeschobenem Unterkiefer oder Kreuzbiss gilt: so früh wie möglich, etwa mit 4 bis 5 Jahren. Zu dieser Zeit ist der Kiefer noch weich und kann ganz sanft in eine gesunde Position gebracht werden. Bei Zahnfehlstellungen beginnt man, wenn alle bleibenden Zähne da sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Dr. Evelyn Beyer (Jahrgang 1976) ist ganzheitliche Zahnmedizinerin mit eigener Praxis in Nürtingen bei Stuttgart. Studiert hat sie an der Berliner Charité.

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