
Joscha Huter, Gärtner im Heilpflanzengarten
Der Garten trägt dich.
Den lebendigen Rhythmen eines Gartens kann sich niemand entziehen. Warum auch? Sie lassen die Melisse aufblühen, den Kompost reifen, die Bienen ausfliegen und den Menschen Halt in einem größeren Ganzen finden.
Joscha Huter über Heilpflanzen mit Persönlichkeit, über Begegnungen im Morgengrauen und über Ruhe, die aus Handarbeit erwächst.
Sie sind nicht nur Gärtner, sondern Heilpflanzengärtner – macht das eigentlich einen Unterschied?
Ja. Als Gärtner möchte ich – zum Beispiel durch die Gestaltung eines Beetes – das Auge des Betrachters erfreuen. Als Heilpflanzengärtner möchte ich die Kräfte einer Pflanze stärken, die später als Heilmittel in einem Menschen wirksam werden. Das ist tiefgreifender. Meine Ausbildungen als Landwirtschaftsmeister und Gärtner wie auch als Sozialtherapeut und Heilpraktiker helfen mir dabei.
Was ist Heilung? Mit dieser Frage geht die WALA besonders intensiv um, und beantwortet sie über die Tätigkeiten des Lebens. Zum Beispiel im Garten.
Wie begegnen Sie den Pflanzen, die so wertvolle Kräfte in sich tragen?
Im Gegensatz zur freien Natur ermöglicht unser Garten, dass wir einen engen Bezug zu den uns anvertrauten Pflanzen aufbauen können. Als Gärtner ist man Teil des Gartens und entwickelt ein Gefühl für die einzelnen Pflanzen und ihre Bedürfnisse. Das ist wichtig, denn jede Heilpflanze hat ihre besondere Persönlichkeit. Man kann sogar sagen: Heilpflanzen sind besonders eigensinnige Persönlichkeiten unter den Pflanzen und haben neben Nahrungspflanzen den tiefsten Bezug zum menschlichen Organismus.
Das müssen Sie erklären.
Der Blaue Eisenhut zum Beispiel: Sein starkes Gift führt zur Lähmung des Nervensystems und letztlich zum Herztod. Interessant ist, dass die Pflanze bereits in ihrer Gestalt einen Hinweis auf die Wirkung gibt. Mit ihrem aufrechten Wuchs, den steifen Blättern und den fast verschlossenen Blütenhelmen wirkt sie wie erstarrt. Dass sich die Blüten des Eisenhuts nicht der Umwelt öffnen, ist ungewöhnlich. Es deutet auf eine Heilpflanze hin.
Was alles hinter einer Pflanzenpersönlichkeit steckt, interessiert mich sehr. Es gibt immer ein Dahinter. Beim Blauen Eisenhut fasziniert mich die Macht über den menschlichen Organismus. Darin zeigt er sich mir.
In unserem Film erzählt Joscha Huter mehr zu den Persönlichkeiten der Heilpflanzen im WALA-Garten.
Mit welchen Pflanzen verbringen Sie die meiste Zeit?
Ich bin für viele Kulturen zuständig. Der Blaue Eisenhut gehört dazu, aber auch die Alraune, Tollkirsche, Kamille, Tigerlilie, Wegwarte und Melisse, der Frauenmantel, Tabak und Lavendel, das Edelweiß und Johanniskraut. Im Gartenteam teilen wir die Pflanzen untereinander auf und übernehmen die komplette Verantwortung für die uns anvertrauten Persönlichkeiten – vom Aussäen, übers Pikieren, Topfen, Pflanzen, Pflegen bis zum Ernten und schließlich Sammeln des Saatguts. Durch diese enge Begleitung wird eine Pflanze zu deiner Pflanze, zu der du eine persönliche Beziehung hast. Ihr Gedeihen ist dein persönliches Anliegen. Das hat sich sehr bewährt.
Ich kümmere mich außerdem um die 20 Bienenvölker, die im WALA-Garten leben. Es ist mir eine Ehre, mit solchen hochentwickelten Lebewesen arbeiten zu dürfen. Wir können so viel von den Bienen lernen.
Je mehr Verantwortung du in die Hände eines Menschen gibst, desto besser wird seine Arbeit.




Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Garten aus?
Mein Tag beginnt mit Vogelgesang im Morgengrauen und endet mit dem Waschen meiner Hacke. Morgens stehen oft Ernten an, am Vormittag Aussaaten, weil es dann noch nicht so heiß ist, und zum Pflanzen wähle ich die Stunden vor der Abendkühle. Ich lasse mich von den Tagesrhythmen leiten.
Nach jedem Arbeitstag drehe ich mich beim Verlassen des Gartens noch einmal um und sehe, was ich getan habe: die Frucht des Tages. Das ist etwas ungemein Befriedigendes, das ich mitnehme.
Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit immer wieder auf Neue?
Die Arbeit im Garten ist immer wieder neu und überraschend. Durch den nahen Wald begegnen mir Marder, Schlangen und Raubvögel ganz unmittelbar. Es sind unerwartete Momente der Begegnung. So kann sich mir am frühen Morgen die Königin der Nacht mit drei lilienweißen, nach Honig duftenden Blüten offenbaren. Und an einem anderen Tag die Wurzel eines fast 50jährigen Gelben Enzians, die nur so vor Kraft strotzt und kaum in die Schubkarre passt.
Vor allem berührt mich die besondere Stimmung in unserem Garten. Es ist sehr friedlich hier, weil wir einen Großteil der Tätigkeiten in Handarbeit ausführen und so gut wie keine Maschinen einsetzen. Unser Garten ist ein geschützter Raum und ermöglicht uns ein nahezu ungestörtes Erleben der Heilpflanzen. Für mich zeichnet das die WALA generell aus: Sie gibt uns Raum zum Entfalten. Ich schätze diesen Freiraum, denn er ist heilsam.

Was macht der Garten mit den Menschen?
Der Garten macht einen Menschen rhythmischer, weil alle Lebensprozesse rhythmisch funktionieren. Du betrittst einen lebenden Organismus und bist mittendrin. Du kannst gar nicht anders. Also übernimmst du diese Rhythmen, indem du zum Beispiel Wurzeln im Winter erntest, weil ihr Wirkstoffgehalt an den kürzesten und kältesten Tagen des Jahres am höchsten ist.
Wir haben heute so sehr den Bezug zum Leben verloren. Gärtnern heilt die Sehnsucht nach dem Lebendig-Sein.
Lebendigkeit
Leben ist das Zentralereignis unseres Daseins. Ein unermesslich kostbares Geschenk, das wir oft erst würdigen, wenn es uns verloren geht. Etwas leichter zugänglich erscheint die Lebendigkeit. Sie ist so etwas wie spürbar gewordenes Leben. Sie lässt sich nicht denken, aber erleben. Sie zeigt sich als Energie, die aus Begegnungen mit anderen Menschen, mit der Natur oder auch einem Musikstück entspringt, und uns verwandelt.
Nirgendwo lässt sich Lebendigkeit so gut erleben wie im Garten. Hier entfaltet sie sich täglich neu und mit großer Kraft, die sich auf den Menschen überträgt. Das ist der Schatz der WALA: Die enorme Heilkraft, die im Lebendigen liegt. Wir kultivieren sie für unsere Arzneimittel und machen sie anderen zugänglich.