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Geburt zwischen Wunsch und Wirklichkeit – ein Interview mit Hebamme Julia Grebner
Ob du eine außerklinische (Hausgeburt oder Geburtshausgeburt) oder klinische Geburt (Krankenhaus) planst, den eigenen Weg zu finden ist an sich schon eine große Herausforderung. Hinzu kommt, dass die Vorstellung der eigenen idealen Geburt in den seltensten Fällen eintritt. Und so stehen wir zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Denn auch wenn „natürlich gebären“ erlernt und „schmerzfrei gebären“ versprochen wird, so ist Geburt doch vor allem eins: Einzigartig, individuell und nicht planbar. Dazu sprachen wir mit Hebamme Julia Grebner.
Zum Interview
Monatelang bereitet man sich darauf vor, doch wenn der Tag kommt, ist doch alles anders: Wie kommt es dazu, dass die Geburt nicht so verläuft, wie man es sich vorgestellt hat? Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?
Ich würde hier zunächst einmal den Fokus darauf legen, was Geburt überhaupt bedeutet. Es ist viel mehr als nur gebären oder geboren werden. Geburt ist ein Prozess, ein Überschreiten von Grenzen.
Wie eine Geburt verläuft, ist nicht allein „Frauensache“, sondern in erster Linie ein Zusammenspiel zwischen Mutter und Kind. Im erweiterten Sinne kommen zu diesen beiden der Partner/die Partnerin und das gesamte geburtshilfliche Team dazu. Diese für die Geburtsdauer bestehende Schicksalsgemeinschaft ist aktiv am Geburtsgeschehen beteiligt und beeinflusst ihn.
Ein weiterer Faktor ist, dass Geburt Veränderung bedeutet. Es werden Grenzen überschritten, die durchaus schmerzhaft sein können. Diese Grenzen werden auf vielen Ebenen sichtbar.
Was kann die werdende Mutter tun, um sich so gut es geht auf die Geburt vorzubereiten?
Meine Kolleginnen Karin Rönsch und Clarissa Merzenich haben in anderen Blog Beiträgen bereits über die Bedeutung des Geburtsortes und der Beziehung zwischen Mutter und Kind gesprochen. Dies sind zwei wesentliche Dinge, die den Geburtsprozess positiv unterstützen können.
Der Ort und die anwesenden Personen sollten im Idealfall den Wünschen und Vorstellungen der Gebärenden entsprechen. Während es in der Hausgeburtshilfe Zeit gibt, ausführlich Wünsche und Vorstellungen zu besprechen, hilft in der Klinik ein Geburtsplan, der bei Aufnahme gemeinsam mit der Hebamme angeschaut wird.
Neben einer guten Geburtsvorbereitung kann die Frau üben, flexibel zu bleiben und Dinge „auf sich zukommen zu lassen“. Ich erlebe immer wieder, dass es das Schwerste ist, dies aushalten zu können. Wenn die ganze Vorsorge auf Messbarkeit, Kontrolle, Standards und Verantwortung für den eigenen Körper ausgerichtet ist, dann auf einmal ins Vertrauen zu gehen, ist für viele eine Herausforderung. Lass ich mich jedoch als Frau darauf ein und werde dann aktiv an den Entscheidungen beteiligt, bzw. seelisch mitgenommen, kommt es weniger häufig zu traumatischen Erlebnissen.
Ein Beispiel
Ein geplante Hausgeburt kann nicht stattfinden, weil sich auch nach dem errechneten Termin keine Wehen eingestellt haben. Die Geburt muss in die Klinik verlegt werden. Bei einer guten Vorbereitung kann sich die Frau auf diesen Prozess einlassen, auch wenn es erstmal eine Enttäuschung ist. Die innere Einstellung kann zum Beispiel sein: „Ich habe alles Mögliche getan, damit das Kind zu Hause auf die Welt kommen kann. Jetzt sind die Möglichkeiten erschöpft. In der Klinik gibt es andere Möglichkeiten als zu Hause. Hier wird mir und dem Kind weitergeholfen.“ Diese Einstellung ist eine ganz andere als: „Ich will nicht in die Klinik, weil ich dem Personal nicht vertraue. Außerdem habe ich versagt, weil ich nicht zu Hause gebären kann. Mit mir muss etwas falsch sein.“
Wie unterstützt du in deiner Rolle als Hebamme rund um die Geburt?
Ich finde es sehr wichtig, dass eine gute Vorbereitung auf die Geburt stattfindet. Dabei geht es einerseits darum, Handwerkszeug für die Geburt zu vermitteln: Wie kann ich die Wehen veratmen? Welche Bewegungen unterstützen den Geburtsprozess? Aber auch: Was passiert bei einer Geburt? Diese Dinge werden vor allem in der Schwangerschaft im Geburtsvorbereitungskurs oder durch die Hebamme in der Vorsorge besprochen.
Wenn ich wahrnehme, dass die Geburt nicht nach den Vorstellungen der Frauen verläuft, suche ich immer zuerst das Gespräch. Das Wichtigste ist es, die Frauen mitzunehmen in die Prozesse, die anders laufen als es ihren Vorstellungen entspricht. Und oft hilft es auch, den Blick von sich weg hin zum Kind zu lenken. Ich stelle manchmal die Frage: „Welche Mutterqualität kannst du denn jetzt schon lernen?“ Die eigenen Vorstellungen zu verändern und aufzugeben, um des Kindes Willen, ist ja etwas, dass uns in der Erziehung ständig begleitet. Wir wollen einerseits, dass unsere Kinder ihren eigenen Weg gehen, andererseits soll es doch der Weg sein, den wir uns für sie vorgestellt haben. Das funktioniert nicht. Je mehr ich mich darauf einlassen kann, umso einfacher wird es in der Eltern-Kind-Beziehung.
Was kann dabei helfen, eine Geburt leichter anzunehmen?
Zunächst ist es wichtig, sich einzugestehen, dass eine Enttäuschung stattgefunden hat und diese anzuerkennen. Das ist oft gar nicht so leicht, aber der erste Schritt. Gefühle dürfen nebeneinander existieren und haben immer ihre Berechtigung. So kann ich mich einerseits über das Kind freuen und andererseits enttäuscht sein, dass die Geburt anders verlaufen ist als gedacht.
Der zweite Schritt, ist darüber zu sprechen. Manchmal erfordert dies Mut. Am naheliegendsten ist das Gespräch mit dem/der Partner/in. Auch Väter erleben ein Wechselbad der Gefühle. Ansonsten bietet sich als erste Anlaufstelle die nachsorgende Hebamme an, um das Geburtsgeschehen noch einmal zu reflektieren.
Manchmal ist aufgrund der Umstellung zum Elternsein kein Raum dafür, in der Wochenbettzeit die Geburt zu reflektieren. Dann kann ein Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden.
Wie kann die Reflektion darüber hinaus unterstützt werden? Welche äußere Anwendung empfiehlst du?
Die natürlichste Möglichkeit ist die Berührung. Liebevolle und achtsame Berührungen geben uns Halt und Schutz und entspannen bis in die Seele hinein. Als einfache Geste zum Beispiel in einer liebevollen Umarmung, das heißt, der Partner umarmt die Mutter, die Mutter hält ihr Kind schützend im Arm. Aber auch ein passendes Öl*, achtsam auf die Haut aufgetragen, kann wahre Wunder wirken bei Mutter und Kind. Bei schwerer Geburt für das Kind bietet sich hier die tägliche Pflege auf dem Wickeltisch an. Um als Mutter die Geburtssituation leichter anzunehmen, kann zum Beispiel eine vorhandene Kaiserschnittnarbe täglich eingerieben werden. Auch rhythmische Einreibungen, von der Hebamme ausgeführt, wirken im Wochenbett entlastend.
* Eine gebrauchsfertige Mischung und kompetente Beratung für das passende Öl erhältst du in deiner Apotheke.
Neu im Naturwichte Blog: Julia Grebner, Hebamme
Meine Schwerpunkte
• Geburtshilfe
• Elternberaterin für frühe Kindheit und Medienpädagogik
• Anthroposophisch zertifizierte Hebamme
• Verschiedene Dozententätigkeiten
Das zeichnet mich und meine Arbeit aus
Gebärende in ihrem individuellen Geburtsprozess zu begleiten ist für mich eine spannende und erfüllende Aufgabe. Das anthroposophische Menschenbild als integraler Bestandteil meiner Hebammenarbeit unterstützt mich dabei. Dies findet einerseits Ausdruck in der Anwendung von rhythmischen Einreibungen und anthroposophischen Arzneimitteln, andererseits meiner inneren Haltung gegenüber dem Werdenden. Dabei geht es mir darum, den einzigartigen, jeder Geburt innewohnenden Moment für die Familie erlebbar zu machen. Privat begleite ich meine vier Kinder auf ihrem individuellen Weg ins Erwachsen werden und liebe es, mich in der freien Zeit mit meinem Naturgarten, Brot backen oder Schreiben zu beschäftigen.
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