Wenn Bäume altern
Totholz passt für viele nicht in unsere aufgeräumte Landschaft. Was sie nicht vermuten: Gerade dort entsteht ein artenreicher Kreislauf. Zum Beispiel in und auf unserem alten Kirschbaum am Biodiversitätspfad – wir schauen genauer hin.
Knorrig streckt er sich in die Höhe und wirkt auf den ersten Blick wie ein Störfaktor in der sonst idyllisch blühenden Landschaft: ein Kirschbaum neben dem Laborgebäude der WALA, der schon lange nicht mehr blüht. Gehört der nicht längst gefällt? Nein, sagt Dr. Sonja Adamczyk, Agrarbiologin und Mitglied im Arbeitskreis Biodiversität bei der WALA. „Totholz ist sehr wertvoll und schafft eine enorme Artenvielfalt. Von den kleinsten Organismen bis hin zu Vögeln und Kleinsäugern wie Fledermäusen oder Eichhörnchen – viele profitieren von diesem Holz“, führt sie aus.
Holz im Wandel
Der Begriff „Totholz“ sei überhaupt etwas widersprüchlich: „Durch seine vielen Bewohner ist es eben sehr lebendig. Tot ist nur der Teil des Baumes, der nicht mehr weiterwächst. Am Ende bleibt das reine Substrat in seinen kleinsten Bestandteilen übrig.“ Bis dahin ist es allerdings ein langer Weg. Die verschiedenen Phasen sind dabei besonders wertvoll, da jede eine neue Lebensgemeinschaft hervorbringt: „Am Anfang kommen die Xylophagen, die Holzfresser, und bedienen sich an dem Holz. Viele denken hier mit Schrecken an den Borkenkäfer, aber in einem gesunden Ökosystem gehört dieses Insekt zum natürlichen Kreislauf dazu“, erklärt die Wissenschaftlerin. Käfer und auch andere Insekten fressen sich durch das Holz und schaffen mit den Bohrgängen Lebensraum für andere Bewohner. Dazu gehören zum Beispiel Wildbienen und Wespen, die hier einen Nistplatz finden.
Upcycling: Die Natur macht es vor
Durch das Bohren der Insekten entsteht ein Abfallprodukt, eine Mischung aus Holz und Tierkot: Mulm. Dieser wird als Baumaterial wiederverwendet. Zum Beispiel als Schutzhülle für eine Käferlarve, die sich darin zu einem ausgewachsenen Käfer wandelt. Übrigens gibt es insgesamt rund 1.400 Käferarten, die auf Totholz angewiesen sind. „Nun fragen sich viele: Was hat das mit uns Menschen zu tun? Es ist eben ein großer Kreislauf: Die Käfer und Insekten dienen auch als Nahrung für Vögel und andere Lebewesen. Nur durch diese intakte Artenvielfalt kann ein gesundes Ökosystem für uns erhalten bleiben“, führt Adamczyk aus. Ein Teil dieser „Wertschöpfungskette“ ist eben auch der Abbauprozess von Holz. In der letzten Phase bauen hier sogenannte „Destruenten“, also Zersetzer wie Pilze, Bakterien und Kleinstlebewesen, das Holz bis in seine Grundbausteine ab.
Sporen des Alterns
Wenn Bäume altern, sieht man das an den Flechten, die sich nach und nach auf der Rinde ansiedeln. „Wir sprechen auch liebevoll von den ‚Altersflecken‘ der Bäume“, ergänzt Adamczyk schmunzelnd. Auch hier gibt es, wie beim ungeliebten Borkenkäfer, oft Vorbehalte. „Dabei siedeln sich die Sporen nur auf entsprechendem Untergrund an – das hängt zum Beispiel vom Feuchtigkeitsgehalt und vom pH-Wert der Baumrinde ab.“ Außerdem sind Flechten wichtige Bioindikatoren: Nach der Untersuchung, welche Flechtenarten sich mit welcher Häufigkeit ansiedeln, lässt sich zum Beispiel die Luftqualität bestimmen.
Die Wurzel des Guten
Ebenso faszinierend wie die komplexen Abbauprozesse oberhalb der Erde sind auch die Vorgänge, die im Verborgenen bleiben. Die Wurzel ist als Nährstofflieferant überlebenswichtiger Bestandteil. In einem gehaltvollen Boden leben Wurzeln in einer symbiotischen Gemeinschaft mit Pilzen, Experten nennen das „Mykorrhiza“. Die Pilze versorgen die Wurzel mit Mineralien und Wasser – im Gegenzug gibt der Baum Glukose ab. Dieses partnerschaftliche Verhältnis kann wiederum nur funktionieren, wenn ein gesunder Boden die „Zutaten“ liefert – ein wichtiger Kreislauf, bei dem totes Holz wieder lebendig wird.
Boden gut machen
Der Abbauprozess eines Baumes dauerte Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte. Die letzten Bestandteile werden von Bodenlebewesen wie Würmern, Springschwänzen und Bodenbakterien in kleinste Partikel zersetzt. Dadurch entsteht wertvoller Humus, bestehend aus zahlreichen Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen. „Je höher die Artenvielfalt ist, desto gesünder ist auch der Boden“, erklärt die Agrarbiologin. Die Bodengesundheit ist wiederum wichtig für uns Menschen, um gesunde Nahrungspflanzen anzubauen und einen nachhaltigen Lebensraum zu schaffen. Ganz im Sinne des One-Health-Gedankens, der auf dem Verständnis basiert, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinander zusammenhängt.